„Wie wollen wir argumentieren? Ein fiktives Planspiel zur Etablierung lokaler Kunst…“

oder

Wie Schülerinnen und Schüler über die Chancen und Risiken eines Kunstmuseums in ihrem Wohnort diskutieren!“

Simone Depner, Lehrerin einer 10. Klasse der IGS Lehrte, stellte Ihren Schülerinnen und Schülern die erdachte Aufgabe „Kunstmuseum statt Parkplatz“:

Hier der Bericht von Simone Depner zu der Diskussion auf dem Podium und im Klassenraum:

Wo steht eigentlich geschrieben, Stadtplanung sei nur etwas für Erwachsene?

Wer sagt bloß immer, dass die heutigen Jugendlichen zunehmend desinteressiert seien?

Und warum binden wir Heranwachsende nicht vielmehr in die Gestaltungsprozesse mit ein, die unser Leben vor Ort betreffen? Solche und ähnliche Fragen gingen mir besonders nach der PlatzDa!-Podiumsdiskussion im Lindener Rathaus im Februar 2017 und den sich anschließenden – gefühlt inflationären – Kommentaren auf sozialen Netzwerken durch den Kopf. Wenn wir schon so differenziert und möchtegern-nachhaltig darüber debattieren, wie wir zukünftig leben wollen, sollten wir die Menschen der Zukunft doch zuerst mit einbeziehen. Schließlich werden sie einmal in dieser Welt, aber vor allem in dieser Gesellschaft leben.

Podiumsdiskusssion an der IGS Lehrte 1

Außerdem dürfen wir die außergewöhnliche Kreativität der adoleszenten Entwicklungsphase nicht unterschätzen: Gerade Jugendliche sprühen vor unkonventionellem Einfallsreichtum, erkennen vernachlässigte Zusammenhänge und schlussfolgern daraus häufig ungewöhnliche neue Gedankengänge.

Nur: Wie genau fördern wir diese gerade so hochgelobten jugendlichen Gestaltungskräfte? Die intrinsische Motivation ist zwar eine mächtige Kraft, doch setzt sie sich besonders bei pubertierenden Schülerinnen und Schülern nicht zwingend automatisch in Gang. Manchmal bedarf es einiger interessanter Katalysatoren, die dann dazu führen, ganz eigene Ideen zu entwickeln, diese anschaulich zu kommunizieren und im Austausch mit einem Experten zu festigen.

Ein Erfahrungsbericht aus der interdisziplinären Praxis

Glücklicherweise bin ich von Haus aus Lehrerin an einer weiterführenden Schule und unterrichte derzeit in einer 10. Klasse einer integrierten Gesamtschule. Im Fach Deutsch bereiten sich die Schülerinnen und Schüler gerade auf ihre Abschlussarbeiten vor, bei denen unter anderem das Thema „Stadtleben – Landleben“ vorgegeben ist. Im Fach Kunst beschäftigen wir uns aktuell mit Architektur und deren Umsetzung im städtischen Raum.

Schnell entstand der Gedanke, hier einen Fächerübergriff herzustellen und die Inhalte logisch an die gegenwärtigen Stadtentwicklungskonzepte anzudocken.

In der Praxis realisierte sich dadurch eine Art fiktive Talkshow, die in vielen Bereichen an die Podiumsdiskussion der Experten zur Gestaltung des Lindener Marktplatzes erinnerte.

Ausgangspunkt war ein ausgedachter Newsletter, in dem der ortsansässige Stadtrat zu einer öffentlichen Sitzung aufruft, um mit den Bürgerinnen und Bürgern über den Vorschlag zu debattieren, ob auf dem Parkplatz eines lokalen Einkaufzentrums ein Kunstmuseum errichtet werden soll. Hintergrund dazu bildet die Plattform www.hannover.de/zukunftsbild, bei der die Menschen eine Möglichkeit bekommen, ihre Ideen zur Zukunft Hannovers zu platzieren.

Zugegeben: Der Plan, ein Kunstmuseum auf einem Parkplatz zu eröffnen, erscheint (post)faktisch schon recht hypothetisch, wurde in der Vorbereitung von den Schülerinnen und Schülern allerdings wenig in Frage gestellt. Im Gegenteil: Die Schülerinnen und Schüler formulierten schnell unterschiedliche Positionen von verschiedenen Berufsgruppen bzw. Bürgerinnen und Bürgern, die die kontroversen Meinungen prägnant darstellten.

Der zweite erfreuliche Umstand bestand in der Tatsache, dass sich Oliver Thiele, in seiner Funktion als Aktivist und Architekt, schnell dafür begeistern ließ, an dem geplanten Rollenspiel teilzunehmen. Dadurch erhielt das Projekt nicht nur einen gewissen Realitätsbezug, sondern auch eine besiegelte Wertschätzung. Wenn ein Experte des öffentlichen Lebens in die direkte Diskussion mit den Schülerinnen und Schülern tritt, dann hebt dies den Aufforderungscharakter, sich aktiv zu beteiligen und steigert das Bedürfnis, Einschätzungen von einer außerschulischen Person zu erhalten.

Podiumsdiskusssion an der IGS Lehrte 3

Am Freitag, dem 10. März, haben sich meine 27 Schülerinnen und Schüler dann zusammen mit Oliver Thiele auf das Experiment eingelassen und in einem Planspiel, einer fiktiven Talkshow, die Chancen und Risiken eines Museumsbaus auf dem Parkplatz gegeneinander abgewogen. Nachdem das Moderatorentandem, bestehend aus zwei Jungen, zielführend in die Diskussion einführte, durften sich die Talk-Gäste nacheinander vorstellen und ihre Position zu dem potentiellen Neubau darstellen.

Das Bauunternehmen Ernst sah neben den wirtschaftlichen Gewinnen besonders den Wert der Kulturstätte. Hier schloss sich die Künstlerin Leonora Dallatorte an, die in einem Kunstmuseum auch einen möglichen Arbeitsplatz erkannte. Ähnliche Gedanken teilte auch der Vertreter des Schulrates, der ein Museum als Bildungsort bezeichnet, an dem jungen Leuten Kunst nähergebracht werden kann. Der Architekt des neu gegründeten Unternehmens Maison Dessiner schilderte seine Hoffnungen, sich mit dem Bauvorhaben in der Region zu etablieren.

Einige Bürger und die Filialleiter der Geschäfte sprachen Bedenken gegen den Bau aus, weil so eventuell Parkmöglichkeiten genommen werden und langfristig die Besucher für die Kunst fehlen könnten. Hier brachte sich auch der Bürgermeister Herr Schmidt ein, der sehr differenziert die Kostenfrage beleuchtete, aber auch die Nutzfaktoren benannte und so erstmals beide Argumentationsseiten unterfütterte.

Oliver Thiele eröffnete seinen Beitrag mit dem Slogan „Kunst zieht an“ und formulierte dann folgelogisch, den Profit für die örtlichen Firmen, den Werbeeffekt für den Wohnort sowie die Steigerung der Lebensqualität.

Schnell entwickelte sich daraus eine lebhafte, aber von Respekt geprägte Debatte, in der besonders auffiel, dass die Jugendlichen nicht nur versuchten, im Schlagabtausch passende Argumente zu liefern, sondern diese auch elaboriert vorzutragen. So wurden Parallelen zum Bau der Elbphilharmonie gezogen, Kosten-Nutzen-Fragen angesprochen, die Spannungen zwischen Kunst und Kommerz thematisiert und diesbezüglich die Frage formuliert: Wie wollen wir eigentlich leben?

Das Hintergrundwissen von Oliver Thiele eröffnete den Schülerinnen und Schüler dann Einblicke in positive Stadtentwicklungskonzepte z.B. in Bilbao oder Kopenhagen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs deutlich. Welche Alternativen stehen dem eigenen PKW gegenüber und wie können wir diese selbstverständlicher nutzen? Hier erfuhren einige Jugendliche möglicherweise erstmals Vorteile von Car-Sharing-Konzepten oder Lastenfahrrädern.

PlatzDa! für ein Kunstmuum in lehrte

Das Resümee dieser gut 70-minütigen Debatte zogen die Jugendlichen selbst, indem Sie anschließend auf der Meta-Ebene ein eigenes Fazit notierten:

„Eine fiktive Talkshow über die Chancen und Risiken eines Kunstmuseums auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums finde ich…

  • … abwechslungsreich, weil man einfach mal eine fremde Rolle einnehmen muss, die man ursprünglich so nicht vertreten hat. Mir persönlich, die ich eigentlich gegen den Bau war, hat es geholfen, auch Pro-Argumente zu finden und sich in diese Sichtweise hineinzuversetzen.“ (M., weiblich, 16 Jahre)
  • … insgesamt gut, weil ein Schauspiel das Selbstbewusstsein, das freie Sprechen und die Kreativität fördert. Außerdem können unterschiedliche Meinungen zu einem Thema geäußert werden. Besonders hat mir der Besuch des Architekten gefallen, weil wir dadurch eine Expertenmeinung gehört haben und deshalb unsere eigene Position zu dem Thema durch die „Insider“-Informationen ausbauen konnten.“ (N., männlich, 16 Jahre)
  • … sehr interessant, weil das schauspielerische Können geübt wird.“ (T., männlich, 16 Jahre)
  • … gut, weil es eine Abwechslung zum normalen Unterricht darstellt. Außerdem lernt man, sich mit einem Thema zu befassen und seinen Standpunkt zu vertreten. Das war sehr lehrreich.“ (L., männlich, 15 Jahre)
  • … nicht so sinnvoll, weil das Thema nicht so richtig in unsere Altersgruppe passt. Es wäre vielleicht besser gewesen, ein interessanteres Thema zu wählen, damit sich das Publikum mehr beteiligt.“ (J., männlich, 17 Jahre)
  • … gut, weil es den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt, in eine fremde Rolle zu schlüpfen und sich dazu frei zu äußern. Außerdem werden in dem Zusammenhang das freie Sprechen, die Spontanität und das Argumentieren trainiert. Es passt ganz gut in die Schule, da man so auch auf die mündlichen Prüfungen vorbereitet wird.“ (H., männlich, 16 Jahre)
  • … gut, weil die Schüler mehr Allgemeinwissen sammeln können, dadurch werden sie schlauer.“ (J., männlich, 16 Jahre)
  • … sehr gut, weil es eine andere Lernmethode ist, bei der man sich gut in fremde Rollen hineinversetzen kann.“ (S., weiblich, 16 Jahre)
  • … gut, weil der Architekt viel Fachwissen beigebracht hat und so überdenkt man vielleicht seine eigene Lebensweise.“ (T., männlich, 16 Jahre)
  • … sehr gut, weil man die Möglichkeit bekommt, sich für seine Stadt einzusetzen und Interesse an dem Geschehen zeigen kann. Man kann außerdem lernen, zu argumentieren und auch spontan auf Gegenargumente einzugehen. Das ist im Alltag schon wichtig.“ (C., weiblich, 15 Jahre)
  • … gut, weil es Spaß gemacht hat, zuzuhören. Aber ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass mein Wohnort ein Kunstmuseum braucht.“ (L., männlich, 15 Jahre)
  • … eine interessante Abwechslung. Ich fand es nur etwas komisch bzw. schlecht, dass ich so schnell überwältigt war, weil ich am Anfang der Einzige war, der eine Kontra-Position innehatte. Das soll nicht heißen, dass ich das verurteile, es war nur ungewohnt, da ich meine Argumente schnell verbraucht hatte.“ (H., männlich, 15 Jahre)
  • „Die fiktive Talkshow hat mir gezeigt, dass man seine Meinung immer mit guten Argumenten füllen sollte, um überzeugend zu wirken. Ohne gute Argumente ist eine Meinung leicht angreifbar.“ (M., weiblich, 16 Jahre).

Zusammenfassend stelle ich fest, dass ich begeistert bin, weil diese Schülerinnen und Schüler einerseits so kreativ sind, andererseits ihre Ideen dennoch in den Grenzen der Realität und Planbarkeit halten. Irgendwie bin ich auch ein wenig stolz auf diese Klasse, weil die das Angebot annimmt, sich mit einem Experten auszutauschen.

Wenn dann am Ende ein Diskutant auch noch begründet seine Position wechselt, wurden augenscheinlich neue Erkenntnisse gewonnen. Damit erweitern Jugendliche ihren Horizont, lernen neue Möglichkeiten kennen, bringen sich ein, gestalten mit und werden schließlich selbstständig aktiv. Das bildet die Grundlage für eine echte Persönlichkeitsbildung und das lebenslange Lernen.

Simone Depner. Lehrerin

Ein kurzes PlatzDa! -Resümee:

Was für eine tolle Leistung der Schülerinnen und Schüler ein derartiges Thema so intensiv, wirklichkeitsnah und sachlich zu diskutieren. Pure, geübte Partizipation, die für unsere Gesellschaft immens wichtig ist! Aber auch die Vorbereitung Ihrer Lehrerin zeigt, welch wichtigen Job die Pädagogen in unseren Schulen leisten.

Leider stand  — wie an so vielen öffentlichen Gebäuden — der bauliche Zustand der Schule ebenso wie die vernachlässigten Außenbereiche auch an der IGS in Lehrte im Widerspruch zu den engagierten Schülerinnen und Schülern und Ihrer Lehrerin. Dürfen wir uns da wundern, dass Jugendliche weder Ästhetik noch Kunst wertschätzen, wenn wir nicht einmal Ihre Schulen ansprechend und gepflegt gestalten?

Abschließend noch einmal vielen Dank an Simone für die Einladung und an die Schülerinnen und Schüler für den spannenden Einblick in ihren Schulalltag!

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